Goslar – Umschlagplatz für Metall und Erz

 

Die Siedlungslandschaft Harz zeigt in einzigartiger Weise den Zusammenhang zwischen den natürlichen Ressourcen einer Landschaft und deren siedlungsgeschichtlichen Entwicklung. Aus diesem Grund wird vom Stützpunkt Harzarchäologie des Instituts für Denkmalpflege Hannover von Goslar aus nicht nur isoliert das frühe Montanwesen im Oberharz untersucht sondern gleichermaßen die mit dem Bergbau- und Hüttenwesen verbundenen Siedlungen des Harzvorlandes. Daß hierbei die ehemalige Kaiserstadt Goslar einen besonderen Schwerpunkt einnimmt trägt auch der Tatsache Rechnung, daß diese bedeutende mittelalterliche Großstadt archäologisch bisher doch recht peripher lag.

 



Die Ruine der Bergdorfkirche ist als unbekanntes Kleinod in der Peripherie Goslars ein schwer auffindbarer letzter Zeuge der heutean der

Peripherie der Touristenzentren gelegenen, privilegierten Bergmannssiedlung,deren Wurzeln vermutlich bis in karolingische Zeit reichen


Außer der bereits 1981/82 durchgeführten Notbeobachtung beim ehem.Brüdernkloster, stammen die restlichen hier skizzierten Untersuchungen alle aus den Jahren 1992 bis 1995 und machen damit deutlich, wie arbeitsintensiv Stadtarchäologie ist. Dabei muß man sich immer bewußt sein, daß nicht jeder Fund bekannt wird und die Funddichte wesentlich von der guten Zusammenarbeit mit den örtlichen Behörden abhängt. In Goslar kommt hier die Tätigkeit von H.G.Griep, der jahrelang die Baustellen betreute und ein offenes Auge für die archäologischen Befunde hatte, fundverdichtend zum Tragen. Seine Baustellenbeobachtungen und Funde sind in mehreren Beiträgen zu publiziert.

 

Bei der Anlage von Versorgungsleitungen für die Gaststätte

1. Maltermeister Turm, SatzNr. 738

bot sich erstmals die Gelegenheit, direkt auf dem Alten Lager des Rammelsberges archäologisch tätig zu werden. Beim Bau von Garagen an der dortigen Gaststätte wurden in den Fundamentgräben Mauern angeschnitten mit deutlichen, bunten Industriehorizonten. Evtl. läßt sich ein rechteckiger Bau nordöstlich des Turmes fassen. Nach Westen hin fallen die Schichten ab, darauf liegen Planierhorizonte. Datierendes Material konnte leider nicht geborgen werden.

Die von hier ausgehenden Versorgungsleitungen durchschnitten die unterhalb des Alten Lagers liegenden Halden am

2. Blauen Haufen, SatzNr. 739

aus Wissembacher Schiefer, taubem Gestein, das beim Abbau der Lagerstätte anfiel. Die Unterstützung durch Herrn Bergwerksdirektor Dipl.-ing.J.Meyer und die freundliche Mithilfe des Geologen der Preussag, Dr.E.Walcher, ermöglichte die fachkundige Ansprache der durchschnittenen Bergbaurelikte.

Weiter hangabwärts, im Gelände des Rammelsberger Bergwerks wurde das oberirdisch sichtbare Hohlwegbündel schräg angeschnitten und dokumentiert. Deutliche Wagenspuren, in den Fahrrillen Erzstaub und Füllmaterial kennzeichnen die Wege. Erkennbar werden Überlagerungen der Hohlwege und auch verfüllte, oberirdisch nicht mehr nachvollziehbare Trassen.

 

Die der Abfuhr der im Alten Lager des Rammelsberges abgebauten Erze dienenden Hohlwege zielen außer auf das mittelalterliche Bergdorf bei Goslar auf dessen Stadtgebiet. Dort konnte in der Grabung

3. Am Stoben, SatzNr. 1200

die nächste Etappe der Erze nachgewiesen werden. In einer von der jüngeren Bebauung durch die Goslarer Brauerei ungestörten Fläche von ca. 3X3m fand sich u.a. eine massive Packung Rammelsberger Erze, zusammen mit Keramik, die in die Zeit um 1200n.Chr. datiert werden kann. An den Rändern dieses „Erzhaufens“ ließen sich mehrere Staketten nachweisen, die von einem Flechtwerkzaun rühren dürften. Dieser Befund läßt sich unschwer als Zwischenlager für die Erze deuten, von dem aus sie auf die weiterverarbeitenden Schmelzhütten verteilt wurden.

Auch dieser weitere Schritt ist in Form von wenigen Schlacken und geringen Resten von Öfen Am Stoben faßbar, doch wird hier nicht an eine Produktion in größerem Maße zu denken sein, die verhältnismäßig wenigen Schlacken lassen eher an ein Probieren der Erze denken, womit der Silbergehalt der gelagerten Erze bestimmt wurde.

Eine gleichzeitige Metalldarstellung in größerem Maße konnte wenig weiter nördlich im Frankenberger Viertel Goslars beim ehem. Kloster



Handstücke Rammelsberger Erzes aus dem 12. Jh. n.Chr., gefunden in dem "Zwischenlager" Am Stoben

(Foto: C.S. Fuchs)


4. Hinter den Brüdern, SatzNr. 680

bei Grabungen bereits in den Jahren 1981/82 nachgewiesen werden. In Schichten unter dem Kloster, zu datieren etwa in die Zeit um 1200 n.Chr., fanden sich außer Rammelsberger Erzen und Schlacken auch die Relikte einer Ofenanlage. Jüngste analytische Untersuchungen durch W.Brockner vom Institut für Anorganische und Analytische Chemie der TU Clausthal im Anschluß an die im Rahmen einer Magisterarbeit an der Universität Bamberg unternommene Auswertung der Grabung wiesen hier das sog. verbleiende Schmelzen nach, in dem auf recht findige Weise Silber gewonnen wird.

 

Auf diese Weise läßt sich in Goslar der Arbeitsgang vom Erz zum Metall recht anschaulich dokumentieren. Nicht greifbar ist bisher die Weiterverarbeitung der gewonnenen Metalle, einmal in der historisch belegten, vermutlich bereits in ottonischer Zeit arbeitenden Münze, zum andern in Werkstätten der Buntmetallhandwerker so wie die Herstellung des im Mittelalter besonders beliebten Messings. Auch der Treibprozeß, in dem aus dem im Schmelzofen gewonnenen Blei-Silber-Gemisch das Silber getrennt wurde, läßt sich bis auf wenige Stücke von Bleiglätten bisher nicht fassen. Die für diese Raffination notwendigen Herdanlagen, wie sie bei Grabungen am Johanneser Kurhaus bei Clausthal-Zellerfeld mehrfach dokumentiert wurden, unterscheiden sich im Aufbau nicht von normalen Herden. Demnach könnte sich hinter einer Am Stoben in Goslar ausgegrabenen Herdanlage aus dem 13.Jh. dieser Treibprozeß verbergen, doch fehlen letztlich die entscheidenden Indizien für diese Interpretation.

 

Über diese technischen Vorgänge hinaus kann jedoch auch das Umfeld der hier lebenden und arbeitenden Bevölkerung gefaßt werden. Deutlich wird dies bei Grabungen im Anschluß an das ehem.Brüdernkloster

5. Hinter den Brüdern 6-8 SatzNr 1687

in denen bei baubegleitenden Untersuchungen der zum Kloster gehörende Friedhof untersucht werden konnte. In einer 8-wöchigen Kampagne wurden über 100 Bestattungen geborgen, die nun im Rahmen eines gemeinsamen Forschungsprojektes am Institut für Anthropologie der Universität Göttingen auf die Einflüsse der damaligen Umwelt untersucht werden. Zwar stammen die meisten Bestatteten aus dem 18.Jh., doch ist für diese Zeit überliefert, daß die im Frankenberg-Viertel wohnenden Hüttenleute beim Brüdernkloster ihre letzte Ruhe fanden, so daß hier sicherlich der Einfluß des Hüttenrauches zu fassen sein wird vielleicht im Gegensatz zu älteren, innerhalb der Klosterkirche geborgenen Bestattungen. Unter den Bestattungen auf dem Friedhof fanden sich auch hier wieder Überreste von Schmelzöfen, die zusammen mit den Befunden unter dem Brüdernkloster einen Eindruck vom Ausmaß der damaligen Verhüttungstätigkeit vermitteln. Die Keramik weist diesen Horizont etwa in das 12.Jh.n.Chr.

 

Ergänzende Funde und Befunde lassen sich aus leider alltäglichen kleinen Baustellenbeobachtungen gewinnen, die jedoch oftmals noch einen Querschnitt durch die zeitlichen und sozialen Aspekte vermitteln. Gegenüber des Friedhofs des Brüdernklosters,

6. Hinter den Brüdern 14-15 SatzNr. 1120

konnte bei der Beobachtung einer Baugrube neben verschiedenen Mauerstümpfen, einem Brunnen auch ein Profil mit Nutzungshorizonten dokumentiert werden, die nach den Funden eines Tonpfeifenfragments und einer blaugrauen Scherbe in das ausgehende Mittelalter und die frühe Neuzeit gehören.

Zeitlich ähnlich sind verschiedene Bestattungsreste bei der

7. Marktkirche SatzNr 1724

anläßlich der Beobachtung eines Leitungsgrabens durch den Hohen Weg bis zu Marktkirche einzustufen. Etwa auf halbem Weg zwischen Amtsgericht und Kirche ragten mehrere Fundamente in die heutige Straße, nach H.G.Griep Reste der romanischen Bebauung.

Bei einer Baustellenbeobachtung in der

8. Petersilienstraße 7 SatzNr 1122

konnten mehrere spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Kloakenfüllungen mit Keramik, Holz- und Speiseresten gesichert werden. Der rasche Ablauf der Baumaßnahmen ließ dabei eine Beobachtung vor Ort leider nicht zu, es konnte lediglich erreicht werden, daß die Kloakenfüllungen gesondert gelagert werden, um so noch die Gelegenheit zur Fundbergung sicher zu stellen.

Besser waren die Bedingungen bei Baumaßnahmen in der

9. Breite Straße 97-98, Kaiserpassage, SatzNr 1705 und benachbart

10. Gosewinkel SatzNr 1704

bei denen zumindest in einigem Umfang die Befunde vor Ort dokumentiert werden konnten. Neben Resten der frühneuzeitlichen Bebauung fanden sich hölzerne und in Stein gefaßte Kloaken vom hohen Mittelalter bis in die Neuzeit sowie ein neuzeitlicher Brunnen. Die Kloaken enthielten neben organischem Material datierende Keramik und als besonderer Fund konnte ein nahezu unversehrter romanischer Knochenkamm geborgen werden.

In der Notgrabung

11. Breite Straße, Nr. 85-87 SatzNr. 1114:

lag in einem Profil unter Garagen unter modernen Schottern eine schlackeführende Schicht, vermutlich eine Planierschicht und darin Keramik des11./12.Jhs. Eine Kloake(?) mit Holzverbau war im oberen Bereich auffallend dicht mit Erz verfüllt. Auf den anstehenden Schottern befand sich ein waagerechter Laufhorizont, dazu dünne Pfosten vermutlich eines leichten Gebäudes o.ä. sowie ein Brunnen mit Steinkranz, vermutlich aus dem 17./18.Jh.

Überraschend brachte eine Notgrabung in der

12. Rundenienstraße, SatzNr 1497

auf einem nach H.G.Griep seit dem 18.Jh. nicht mehr bebauten Grundstück, neben den Resten der letzten Bebauung im rückwärtigen Teil des Grundstückes einen älteren Steinbau zu Tage, der anhand einiger Keramikscherben in die Zeit des 12./13.Jhs.n.Chr. datiert werden kann. Das vermutlich einem Brand zum Opfer gefallene Gebäude läßt sich auf eine Länge von 7-8m rekonstruieren. Es dürfte sich um eine der auch aus anderen mittelalterliche Städten bekannten Kemenaten handeln.

 

Bei Leitungsarbeiten im Bereich der mittelalterlichen

13. Kaiserpfalz, SatzNr. 841

konnten auf die Meldung wiederum von H.G.Griep in einem Wasserleitungsgraben Schichten mit Keramik vermutlich des 10./11. Jhs. dokumentiert werden.


Erscheinen diese Einzelbeobachtungen zunächst etwas zusammenhanglos im Gegensatz zu den Fundstellen montanarchäologischer Relikte, so ist das vor allem darauf zurückzuführen, daß einmal noch eine ganze Reihe spezifischer Untersuchungen an den Befunden fehlt, zum andern erst eine Gesamtschau der Befunde den siedlungshistorischen Kontext aufdecken wird. So wie für die Bestattungen am Brüdernkloster durch die anthropologischen Untersuchungen auf einmal ihre Aussagemöglichkeiten für eine „Umweltarchäologie“ erschlossen werden, so werden z.B. durch paläo-ethnobotanische Untersuchungen an den Makroresten aus Kloaken und anderen geeigneten Befunden Rückschlüsse nicht nur auf die Speisegewohnheiten sondern darüber hinaus auf die Vegetation des Umlandes möglich. Liegen aus verschiedenen sozialen Bereichen solche Befunde zeitlich vergleichbar vor, so werden sich Differenzierungen und Vergleichsmöglichkeiten ergeben, so wie im Jahre 1987, als bei der Ausgrabung der Hüttensiedlung am Johanneser Kurhaus bei Clausthal-Zellerfeld in einem Keramikgefäß des 13.Jhs. Reste von Weintrauben und Kardamom isoliert werden konnten, die zu einer Mahlzeit des dortigen Bergschmiedes gehörten und sonst nur in sozial höher gestellten Haushalten dieser Zeit nachgewiesen sind.


Handelspartner für Rammelsberger Erze und deren Produkte im 14../15. Jh.n. Chr. (nach A. Bingener, 2000)


Ähnliche Aussagen, nicht nur chronologischer Art, läßt die komplexe Bearbeitung der materiellen Hinterlassenschaften wie Keramik, Metall, Holz u.a.m. erwarten. Kombiniert mit der historischen Überlieferung, z.B. den Grundstücksgrenzen und der Besitzgeschichte der Parzellen, wird sich ein recht lebendiges Bild der Stadt Goslar im Wandel der Jahrhunderte zeichnen lassen. Da diese Arbeit intensive Archiv- und Materialstudien erfordert, möchten wir den altbewährten Weg der Auswertung beschreiten und das Material für eine akademische Arbeit, vielleicht eine Dissertation anbieten. Hierein wird auch die jüngste Grabung am Rande der Stadt im Industriegebiet Baßgeige einfließen können, bei der flächenhaft die Reste einer der Vorgängersiedlungen des mittelalterlichen Goslar mit Siedlungsbefunden aus der Bronze- und Kaiserzeit bis in das frühe Mittelalter dokumentiert werden konnten.