Waldleute im Harz – Umweltsünden und technische Innovation




Dem Wanderer, der die weithin bekannten Wälder des Harzes aufsucht, bietet sich das immer grüne Bild weiter Fichtenwälder, gerne als reine Natur vermarktet und als wichtiger Wirtschaftsfaktor genutzt.



Foto: F.-A. Linke



Nur wenig bekannt ist, dass dieses Bild das Ergebnis Jahrhunderte währenden Raubbaus und künstlicher Aufforstung mit schnell nachwachsendem Rohstoff ist. Idyllisch in den grünen Wäldern versteckte Teiche bieten Erfrischung an heißen Sommertagen und sind das Relikt der Oberharzer Wasserwirtschaft, die seit dem 16. Jahrhundert n.Chr. wichtige Energie zum Betrieb der Bergwerks- und Hüttenanlagen lieferte

Der Wald war mit den Erzvorkommen des Harzes eine Grundvoraussetzung für die Ausprägung und den Aufschwung des Montanwesens in der Region. Er lieferte die unverzichtbaren Energierohstoffe für die Hüttenprozesse in Form von Holz und Holzkohle als Brennstoff für die Röst- und Schmelzprozesse. Daneben benötigte der Bergbau große Mengen an Grubenholz. Die Wohn- und Betriebsgebäude des Montanwesens wurden größtenteils aus Holz errichtet. Technische Anlagen und Maschinen waren zumeist Holz - Eisen - Konstruktionen. Darüber hinaus machten die klimatischen Verhältnisse in der Region einen hohen Verbrauch an Brennholz unausweichlich .

Besonders die Hütten benötigten Holz und vor allem Holzkohle in großen Mengen. Bereits im Zeitraum zwischen 600 und 750 n. Chr. war der Holzverbrauch der Hütten stellenweise so intensiv, dass eine merkliche Veränderung der Bewaldung eintrat. Sekundärgehölze wie Birke und Pappel breiteten sich aus und wurden in die Herstellung der Holzkohle dann aus Mangel geeigneter Holzarten mit einbezogen . Zur schmelztechnischen Verarbeitung von einem Karren Roherz benötigte man etwa 6-8 Karren Qualitätsholzkohle entsprechend ca. 63 Festmeter Holz , eine gewaltige Menge, und es waren Tausende von Karren Erz, die zu den Schmelzplätzen transportiert wurden. Im 11. bis 12. Jahrhundert wurden gemäß den wenigen erhaltenen Angaben jährlich etliche 100 Zentner Kupfer erzeugt. Die Karren bzw. Wagen zum Transport der Roherze waren zweirädrig und konnten nach Bornhardt 6 sog. Scherben Erz fassen. Der Scherben war ein am Rammelsberg gebräuchliches Hohlmaß, das, je nach Erzbeschaffenheit, 3,5 bis 5 Zentnern Erz entsprach, ein Wagen fasste also grob gerechnet 0,75 bis 1 Tonne Erz . Geht man davon aus, dass ein ausgesprochen reiches Erz verwertet wurde, das im Durchschnitt 10% Kupfer enthielt, so waren zur Produktion von 100 Zentnern Kupfer mindestens 50 Wagen Roherz anzufahren, für deren Verarbeitung weit über 3000 Festmeter Holz benötigt wurden. Dabei ist die Annahme von 10% Kupfergehalt im Roherz ohne Zweifel als Durchschnitt für die mittelalterliche Förderung hoch gegriffen. Bei einer Produktion von 1000 Zentnern Kupfer waren aufgrund dieser Annahme deutlich mehr als 30.000 Festmeter Holz erforderlich. Und es ist hier daran zu erinnern, dass der Rammelsberg, dessen Erzverhüttung hier im Mittelpunkt steht, ja nur einer vor Dutzenden Förderbezirken im Harz war, deren Erze in die Verhüttung gelangten.
Die Holzkohlengewinnung erfolgte zunächst in Grubenmeilern (Abb. 2), vom 12. Jahrhundert an zunehmend in Platzmeilern. „Die außerordentliche Vielzahl von Meilern in einem Gebiet, ihre unterschiedliche Konfiguration, vielfache Überlagerungen und die häufige Vergesellschaftung mit frühen Schlackenhalden weisen im Harz und Harzvorland auf lang andauernde, äußerst intensive Nutzungen der Waldbestände zur Energiegewinnung hin. Die Nutzungsintensität legt nahe, für den Harz schon früh von einem industriellen Charakter der Holzkohlenherstellung zu sprechen“, so Marie-Luise Hillebrecht . Ihren Feststellungen nach standen zwar zu Beginn des Bergbaus und der Verhüttung reichliche Holzreserven zur Verfügung, aber schon kurz nach der Wende vom ersten zum zweiten nachchristlichen Jahrtausend „kam es …in den Randbereichen (der Harzwälder, d. Verf.) zu Energieverknappungen – im Inneren regional unterschiedlich später –, die auf die Übernutzung der Wälder für die Hütten zurückzuführen sind. Anzeiger der intensiven Nutzung sind die große Meilerdichte in einem Areal, die mehrfache Benutzung derselben Meilerstelle im selben Verkohlungszeitraum und eine gute Verkohlungstechnik. Auf radikale Nutzung des Waldbestandes weist auch die gemeinsame Nutzung von holzkohletechnische unterschiedlich anzusehenden „hartem“ (Buche, Ahorn, Eiche) und „weichem“ (Birke, Pappel, Weide) Holz hin, die starke Zunahme von Destruktionsanzeigern wie Birke, Hasel, Pappel, Weide und Eberesche sowie die Verwendung geringmächtiger Holzsortimente. Ganz offensichtlich bestand schon früh ein Zwang, alles vorhandene Holz zur Deckung des Energiebedarfs zu verwenden“.
Nicht nur die enormen Mengen an Holzkohle machten es unmöglich, diese zum Erz zu transportieren. Vielmehr führte eine Verfrachtung der Holzkohle über längere Distanzen bei den schlechten, holperigen Wegen dazu, dass ein erheblicher Anteil der Kohle zu Grus zerrieben und damit unbrauchbar wurde. Dies machte es mithin für die Hüttenbetreiber unumgänglich, über Wald verfügen zu können. Noch 1219 wird im Stadtprivileg Friedrichs II. für Goslar unter den Rechten der Waldleute erwähnt, dass diese Holzkohle für ihre Schmelzöfen von jeder Örtlichkeit beziehen dürfen, welche ihnen dafür günstig erscheint. Dafür mussten sie wöchentlich dem Reich (bzw. dem Reichsvogt) pro Paar Blasebälge ein Lot Silber als Abgabe entrichten, eine durchaus beachtliche Summe . Dafür war es erlaubt, im Königsforst überall Holzkohle für den Hüttenbetrieb zu verkohlen bzw. dort Schmelzöfen zu betreiben, denn vor der Nutzung der Wasserräder für den Antrieb der Blasebälge seit dem Beginn des 13. Jahrhunderts und der dadurch bedingten Verlagerung der Hütten in die Täler an die größeren Fließgewässer folgten die Hüttenplätze den Holzschlägen. Es ist zu vermuten, dass es jenseits dieser grundsätzlichen, allgemeinen Bestimmungen Regeln der Zuweisung von Holzschlägen und damit Verhüttungsstandorten gab, deren praktische Überwachung wahrscheinlich in den Händen der Förster lag, Nachrichten darüber sind nicht überliefert. Immerhin darf man davon ausgehen, dass die spezifische Verteilung der Hüttenplätze in den Waldungen bis etwa 1200 ein klares Indiz dafür darstellt, wo sich königliche, hinsichtlich der Holznutzung durch die Reichsvogtei verwaltete Waldungen erstreckten.
Eine tief greifende Wandlung in der Energieversorgung brachte die Verlagerung der Hüttenfeuer an die größeren Fließgewässer mit sich. Durch die Anlage von Radstuben, Schlachten, Wehren, Zu- und Ableitungsgräben für das Betriebswasser und größere Dimensionierung der Anlagen wurden diese zugleich oft über Jahrhunderte hinweg an bestimmte Standorte gebunden, was für deren Versorgung mit Holzkohle eine völlige Umstrukturierung notwendig machte. In großem Umfang wurde nunmehr das Eigentum an den Waldungen verändert. Diese Prozesse haben vielfach schriftliche Niederschläge gefunden und leiteten insgesamt eine neue Entwicklungsperiode des Hüttenwesens ein.
Neben das Holz und die Holzkohle als Energieträger trat nun das Wasser zum Antrieb der Gebläse an den Schmelzöfen. Im Zuge dieser Entwicklungen traten neben die Abgabe der Balgpfennige für die Nutzung die Holzkohle die „Lotpfennige“ als Abgabe für die Wassernutzung. Zwar veränderten sich Besitzstrukturen gänzlich, wandelten sich Rechtsgrundlagen und wesentliche soziale Komponenten im Verlauf des Mittelalters tiefgehend. Aber die Region mit allen ihren Ressourcen war und blieb eine Montanlandschaft, ausgerichtet auf Bergbau- und Hüttenproduktion, deren sich langsam wandelnde Bedingungen Schritt für Schritt die Landschaft des nordwestlichen Harzes strukturierte und prägte.





Lothar Klappauf*, Christoph Bartels**, Friedrich-Albert Linke* und Michael Fessner**



Literatur

Christoph Bartels, Michael Fessner, Lothar Klappauf und Friedrich-Albert Linke, 2007
Kupfer, Blei und Silber aus dem Goslarer Rammelsberg von den Anfängen bis 1620, Die Entwicklung des Hüttenwesens von den frühmittelalterlichen Schmelzplätzen im Wald bis zur Metallerzeugung im großen Maßstab am Beginn des 17. Jahrhunderts nach den archäologischen und schriftlichen Quellen, Bochum 2007.
Georg BODE (Bearb.), 1893-1905
Urkundenbuch der Stadt Goslar und der in und bei Goslar belegenen geistlichen Stiftungen, Halle, Teil I, 1893; Teil II, 1896; Teil III, 1900; Teil IV, 1905 (zitiert BODE, UBG, Teil-Ziffer, Urkunden - Nr.)
Wilhelm BORNHARDT, 1931
Geschichte des Rammelsberger Bergbaues von seiner Aufnahme bis zur Neuzeit (Archiv für Lagerstättenforschung, Heft 52), Berlin
Burkhard FRENZEL / Heike KEMPTER, 2000
Der Einfluss von Erzbergbau und Erzverhüttung auf die Umweltbedingungen des Harzes in der Vergangenheit, in: Christiane SEGERS-GLOCKE (Hrsg.), Auf den Spuren einer frühen Industrielandschaft. Naturraum – Mensch – Umwelt im Harz, Hameln (Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen; 21), S. 72-77
Hans-Jürgen GERHARD, 1994
Holz im Harz. Probleme im Spannungsfeld zwischen Holzbedarf und Holzversorgung im hannoverschen Montanwesen des 18. Jahrhunderts, in: Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte, 66, S. 47-77
Marie-Luise HILLEBRECHT, 1982
Die Relikte der Holzkohlenwirtschaft als Indikator für Waldnutzung und Waldentwicklung. Untersuchungen an Beispielen aus Südniedersachsen (Göttinger geographische Abhandlungen 79), Göttingen
Marie-Luise HILLEBRECHT, 2000
Der Wald als Energielieferant für das Berg- und Hüttenwesen, in: SEGERS-GLOCKE 2000, S. 83 – 86
Christiane SEGERS-GLOCKE (Hrsg.), 2000
Auf den Spuren einer frühen Industrielandschaft. Naturraum-Mensch-Umwelt im Harz (Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen 21), Hannover
Ulrich WILLERDING, 2000
Die Landschaft Harz, in: Christiane SEGERS-GLOCKE (Hrsg.), Auf den Spuren einer frühen Industrielandschaft. Naturraum-Mensch-Umwelt im Harz (Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen 21), Hannover, S. 47-54





Anschriften der Verfasser

*Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege
Arbeitsstelle Montanarchäologie
Bergtal 18
38644 Goslar

** Deutsches Bergbau-Museum
Am Bergbaumuseum 28
44791 Bochum