Der Harz im Neolithikum 

Neolithische Funde aus den Mittelgebirgen sind in der Vergangenheit immer wieder vor allem dank der Aufmerksamkeit verschiedener Sammler bekannt geworden. Ihre Interpretation war jedoch zu sehr in der Lehrmeinung verfangen und übersah ihre Aussagekraft als wertvolles siedlungshistorisches Quellenmaterial. Mittelgebirge wurden als während der Jungsteinzeit unbesiedeltes Land verstanden – eine Meinung, die spätestens seit Reinecke (1930) weithin akzeptiert wurde. In den darauf folgenden Jahren formulierte Interpretationsvorschläge für die nicht weg zu diskutierenden Funde, z.B. als Indikatoren für frühe Passagen über die gebirgigen Zonen, die verwandte neolithische Kulturen miteinander in Verbindung gebracht haben, wie auch vielfache andere Hypothesen erklären kaum das europäische Phänomen zahlreicher, in allen mitteleuropäischen Gebirgsgegenden korrespondierender Funde. Verglichen mit den Funden aus den Lößgebieten im Gebirgsvorland erscheinen sie allerdings recht ärmlich.

Erste Studien über Neolithisierungsprozesse in den Westkarpaten haben gezeigt, dass seit der Trichterbecherkultur (um 3500 v. Chr.) eine Besiedlung auch in den tief im Gebirge gelegenen Gebieten dieser Gebirgsgruppe stattfand. Dabei ließen sich Hinweise auf wesentliche Unterschiede in der Lebensart der damaligen Gemeinschaften beobachten, wobei der Reduktion des mobilen Inventars der materiellen Kultur eine entscheidende Rolle zukommt. Keramik ist im Fundspektrum selten, Steinartefakte sind das dominierende Fundmaterial. Es sind kaum Fundstellen mit originalen Kulturschichten oder Befunden wie Gruben etc. erhalten.

 



Mit diesen Vorkenntnissen sind unter der gleichen Fragestellung und mit den gleichen analytischen Methoden Anfang der 90er Jahre die süddeutschen Mittelgebirge untersucht worden. Eine genaue Analyse der Altfunde u.a. hinsichtlich der Fundumstände, Chronologie und Topographie wurde vorgenommen. Dabei zeigten sich wesentliche Übereinstimmungen in der Fundverteilung. Die Anzahl von jung- bzw. spätneolithischem Fundaufkommen ist immer größer als das aus früheren Horizonten. Oft liegen die Funde hoch im Bereich von Wasserscheiden bzw. in Gebirgssätteln. Diese wichtigen Feststellungen konnten mit gezielten Geländebegehungen im Bayerischen Wald und im Schwarzwald verifiziert werden. Auf diese Weise konnte ein materieller Kontext für die Altfunde gewonnen werden, der die scheinbar spärlichen Funde in neuem Lichte zeigt. Ähnliche Resultate ließen sich im Rahmen eines deutsch-polnischen Forschungsprojektes in den Sudeten erzielen.

 Alle diese Forschungsinitiativen waren mit modernen Pollenanalysen der Moorgebiete kombiniert, an denen die europäischen Mittelgebirge reich sind. Menschlicher Einfluss auf die Vegetation ist fast in jedem Pollendiagramm zu beobachten. Dabei handelt es sich aber kaum um Spuren von Ackerbau. Getreidepollen kommen nicht vor, Brandrodungsspuren ebenso wenig. Der Wald zeigt jedoch markante Schäden im Baumbestand, die man als Hinweis auf Laubfuttergewinnung (Pollarding, shreedding usw.) erklären kann. Das gleichzeitige Vorkommen von Spitz-Wegerich (Plantago lanceolata) und anderen Anzeigern für Viehzucht ergänzt das Pflanzenspektrum.

 Diese Untersuchungen haben im Umfeld der sensationellen Entdeckung „Ötzi`s“ in den Ötztaler Alpen 1991 noch an Bedeutung gewonnen. Man sollte sich vor Augen halten, was von diesem einzigartigen Fundkomplex außerhalb des Gletschers erhalten geblieben wäre: außer dem Beil und dem Feuersteindolch würde nichts auf die sensationelle Entdeckung hinweisen! Eine Serie von Forschungsprojekten, die u.a. auf die Prospektion von neolithischen Fundstellen im hochalpinen Bereich zielten, fand bald nach der Entdeckung statt und bestätigte auf eindrucksvolle Weise die Ergebnisse langjähriger Forschungsunternehmen zur frühen Besiedlung der Alpen.

 Aus mehreren Gründen spielt der Harz eine besondere Rolle im Rahmen der Studien über das frühagrare Siedlungswesen Europas. Harte Gesteine und Metallerze innerhalb des Gebirges und vor allem eine dichte Besiedlung in dem mit Löss bedeckten Vorland waren Ausgangspunkte bei der Diskussion über die Rolle des Harzes in urgeschichtlichen Zeiten. Schon die intensive Diskussion über die Echtheit vieler „Donnerkeile“ aus den Mittelgebirgen, ist größtenteils anhand der Beispiele aus dem Harz und dem Thüringer Wald geführt worden. Um so mehr lässt sich der europäische Bezug des Forschungsprojekts „Neolithische Besiedlung der Gebirgslandschaften: Fallstudie Harz“ begreifen.

 



Grabung Huneberg: Frühe Bronzezeit? (Foto: P.Valde-Nowak)


Knapp 50 Altfunden aus dem Oberharz konnte bisher anhand des Archivs des NLD und der Unterstützung im Gelände durch den Ehrenamtlichen Beauftragten für die Denkmalpflege des Landkreises Goslar, E. Reiff, genau nachgegangen und die Fundstellen lokalisiert werden. Darunter befinden sich Vertreter aller Hauptentwicklungsstufen, auch die ältesten donauländische Formen (5000-3000 v. Chr.). Viele Funde stammen aus hoch gelegenen Orten, wie der Gegend rund um Altenau, Torfhaus, Sankt Andreasberg und Clausthal-Zellerfeld.

Diese Funde bestätigen das aus anderen Mittelgebirgen bekannte Bild, das eine saisonale Nutzung der hoch gelegenen Regionen in Form der Weidewirtschaft, vergleichbar der bekannten Almwirtschaft, nahe legt. Darüber hinaus lassen Funde und vielleicht auch Befunde im Einzugsbereich seltener Mineralienvorkommen an eine frühe Nutzung der im Harz vorhandenen, für die Produktion von Werkzeugen geeigneten Gesteine denken.

 

Diese ersten Ergebnisse sind für die Geschichte der Kulturlandschaft Harz unerwartet und stellen die bisher allgemein herrschende Vorstellung zur Besiedlungsgeschichte des Mittelgebirges in der Urgeschichte in ein neues Licht. Damit zu verbinden sind Überlegungen zur Nutzung der natürlichen Ressourcen des Mittelgebirges bereits seit dem Neolithikum, dem vermutlichen Beginn ihrer systematischen Ausbeutung.

 

Pawel Valde-Nowak, Lothar Klappauf und Friedrich-Albert Linke


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